Interview mit Joan Rallo Fernández

Joan Rallo Fernández hat zwei klare Ziele: Er will die Menschen in Stade mit attraktivem Basketball begeistern und mit dem VfL Stade um die oberen Plätze in der 1. Regionalliga Nord mitspielen. Hier spricht er über Ziele, Vorbilder und das Leben.

Im Leben von Joan Rallo Fernández dreht sich vieles um den Basketball – aber nicht alles. (Foto: Scholz)
Im Leben von Joan Rallo Fernández dreht sich vieles um den Basketball – aber nicht alles. (Foto: Scholz)

Herr Fernández, haben Sie ihren Traumjob beim VfL Stade gefunden?

Fernández: Einer der besten Dinge an meinem Job ist, an verschieden Orten arbeiten zu können. Ich liebe Deutschland. Das mag merkwürdig klingen, schließlich komme ich aus der Nähe von Barcelona, dort hatte ich das Mittelmeer vor der Haustür. Aber mir gefällt die Mentalität der Norddeutschen. Stade ist eine Stadt, in der ich glücklich sein kann.

Und in puncto Basketball?

Ich sehe für den Verein die Möglichkeit, Schritt für Schritt zu wachsen. Ich denke da nicht unbedingt an die erste Liga, aber ich sehe großes Potenzial in Stade.

Dazu passt die Aussage von Vereinspräsident Carsten Brokelmann. Er sagte, der VfL gehöre ins obere Drittel der Tabelle. Mittel- und langfristig werde der VfL sogar über einen Aufstieg in die 2. Bundesliga ProB nachdenken. Verspüren Sie Druck?

Kennen Sie Marcelo Bielsa, den argentinischen Fußballtrainer? Er sagte, dass der wirkliche Druck ein anderer ist: eine Familie zu versorgen, einen Job zu haben, damit die Kinder zu Essen haben. Natürlich gibt es auch hier Druck, keine Frage. Aber er gehört zum Sport dazu. Druck ist kein großes Problem.

Ist es realistisch, dass der VfL Stade in näherer Zukunft in einer höheren Liga spielt?

Ja, der Aufstieg muss unser mittelfristiges Ziel sein. Das Problem ist bloß, dass wir in einer Liga spielen, in der nur der Erste aufsteigt und der Zweite nicht. Dadurch könnte es nicht leicht werden. Aber die Topteams der 1. Regionalliga haben das Niveau, um sich in der ProB zu behaupten. Wir müssen alles dafür tun, irgendwann einmal in der Regionalliga ganz oben zu stehen.

Was wollen Sie denn mit ihrer Mannschaft in diesem Jahr erreichen?

Zunächst müssen wir es schaffen, im Kampf um eine Position an der Tabellenspitze mitzumischen, um eine Aufstiegschance zu haben. Aber das wird nicht einfach. Schauen Sie sich unseren Auftaktgegner Eintracht Stahnsdorf an. Dieses Team kommt aus der ProB, hat dort elf Jahre gespielt und ist die klare Nummer 1 im Rennen um die Meisterschaft. Dazu kommt noch ein anderes Ziel: Wir möchten den Stadern zeigen, dass sie stolz sein können auf dieses Team, dass sie es genießen können, in die Halle zu kommen. Wenn sich also die Frage stellt: Gehe ich heute ins Theater, ins Kino oder zum Basketball, dann sollte die Antwort lauten: zum Basketball.

Was für eine Spielweise dürfen die Zuschauer erwarten?

Ein schnelles Spiel. Wir wollen intensiv verteidigen, um mehr Fast Breaks (schnelle Angriffe) zu kreieren. Die Schnelligkeit ist eine Sache, die den Basketball so besonders macht und hoffentlich auch die Menschen in der Halle begeistert.

Gibt es Vorbilder für diese Spielweise?

Der „Godfather“ für viele Basketballtrainer in Spanien ist Aíto Reneses, der aktuell Alba Berlin coacht. Wir können uns viel von ihm abschauen: die schnelle Spielweise, die harte Defensive und die ständige Rotation.

Sie waren größtenteils Trainer im Jugendbereich verschiedener Vereine, haben aber auch die Männern der Licher BasketBären (Hessen) in der ProB gecoacht. Ist das mit Stade vergleichbar?

Lich war etwas anders. Wir waren eine Mannschaft aus Profis und Halbprofis, das Ausbildungsteam für den Bundesligisten Gießen 46ers. Das Ziel war, die Klasse zu halten und den Youngsters Spielpraxis zu geben. In Stade ist die Situation eine andere, und auch die Ziele. Und das Besondere ist, dass Spieler wie Tom (Lipke) und Richie (Richard Fröhlich) ungefähr zwei Jahre jünger sind als ich. Ich habe viele Dinge mit ihnen gemeinsam, Gespräche führen wir auf Augenhöhe.

Wie wirkt sich das auf die Atmosphäre in der Mannschaft aus?

Wenn man ein BBL-Team trainiert, sind da elf Spieler, die mit Basketball richtig gutes Geld verdienen. Aber ich habe einige Spieler, die fahren erstmal zwei Stunden hin zum Training und wieder zurück – und das drei oder vier Mal in der Woche. Und trotzdem ist die Stimmung auf und neben dem Feld wirklich fantastisch. Dadurch ist es auch Reco leicht gefallen, Anschluss zu finden.

Sie meinen Reco McCarter. Was können die Stader von ihm erwarten?

Wir haben über die attraktive Spielweise gesprochen, und da kommt Reco ins Spiel. Er kann dunken, er geht mit hoher Intensität zu Werke, er steht für spektakuläre Momente. Reco ist ein Spieler, der das Spiel versteht, einen hohen Basketball-IQ hat. Und er eröffnet uns viele taktische Optionen.

Wir haben über die Männer des VfL Stade gesprochen. Doch das ist nicht ihre einzige Aufgabe als Trainer...

Richtig, ich arbeite mit den Trainern im Nachwuchsbereich zusammen. Ich möchte das Training mit ihnen noch besser machen. Das soll nicht heißen, dass ich alles weiß und die Trainer nichts. Wir profitieren voneinander. Ein Beispiel: Mich faszinieren die ruhigen Ansprachen meiner Kollegen. Das möchte ich auch lernen. Ich bin manchmal aufbrausend. Es ist eine Art Wissensaustausch. Als Verein können wir dadurch wachsen.

Musste ihr guter Freund, der ehemalige VfL-Trainer Matthias Weber, noch viel Überzeugungsarbeit leisten, um Sie nach Stade zu lotsen?

Matthias, der in meinen Augen einer der besten Nachwuchstrainer Europas ist, hat eine wichtige Rolle gespielt, dass ich jetzt hier bin. Aber als ich das erste Mal in Stade war, hatte ich das Gefühl, dass der Verein auf vernünftige Weise, Schritt für Schritt, wachsen will. Und das ist das Spannende. Ich möchte nicht den einfachen Weg beschreiten, ich möchte an langfristigen Zielen arbeiten.

Wie dürfen wir uns denn ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Das ist schwer zu sagen. Manchmal gibt es keine klare Linie zwischen Basketball als Beruf und Hobby. Heute zum Beispiel habe ich mir unser Testspiel vom Wochenende angeschaut und Videosequenzen zusammengeschnitten, sodass ich den Spielern Feedback geben kann. Nach dem Interview bin ich beim Jugendtraining, tausche mich danach mit den Trainern aus. Und am Abend steht das Training mit meiner Mannschaft an.

Gibt es auch ein Leben neben dem Basketball?

Ich liebe Radfahren. Ich möchte mir alle Sportangebote beim VfL anschauen. Ich schaue mir die Schiffe auf der Elbe an, fahre nach Hamburg, gehe ins Kino oder auf Konzerte.

Und...

Ich habe mal Geschichte studiert, habe das Studium aber nicht abgeschlossen. Jetzt habe ich mich für einen Onlinekurs angemeldet. Es geht mir nicht um einen Abschluss, sondern darum, den Kopf auch neben dem Sport anzustrengen und eine Ablenkung zu haben.

Zurück zum Sportlichen. Wie kamen Sie eigentlich zum Basketball?

Ich komme aus Badalona, nicht weit von Barcelona entfernt. Und wenn du aus Badalona kommst, dann musst du Basketball spielen. (lacht) Es gab Zeiten, da haben drei Teams aus Badalona in der ersten Liga gespielt. Mit vier Jahren habe ich angefangen und mit 21 aufgehört...

...und wurden Trainer?

Ich war schon Trainer, da war ich 18. Ich habe gemerkt, dass ich in dieser Rolle immer besser geworden bin. Als Spieler war es umgekehrt.

Sie wurden später U 16-Trainer von Real Madrid. Welche Rolle spielt der Basketball in diesem Club?

Ich hatte die Möglichkeit, dort die besten Spieler dieses Jahrgangs in Europa zu trainieren. Das war fantastisch. Aber von der Beliebtheit her war der Abstand zu den Fußballern enorm.

Cristiano Ronaldo ist damals also nicht zu den Spielen in die Halle gekommen?

(lacht) Nein, keine Chance.

15. September 2018

Quelle: Stader Tageblatt

Interview von Tim Scholz