Francesc Iturrias Leidenszeit hat bald ein Ende

Francesc Iturria (24) spielt seit mehr als zwei Jahren Basketball beim VfL Stade. Wobei: Viel gespielt hat der Spanier in dieser Zeit nicht wirklich. Hinter Iturria liegt nämlich eine fast zweijährige Leidenszeit, die bald enden könnte.

Der VfL Stade verlängert den Vertrag mit Francesc Iturria. Zu diesem Zeitpunkt hat der 1,79 Meter kleine Point Guard gerade eine schwere Knieverletzung überstanden: einen Kreuzband- und Meniskusriss. Er habe hart an seinem Comeback gearbeitet, verkündete der VfL Stade damals, und im Gegensatz zu vielen anderen habe Iturria selber nie Zweifel an der Fortsetzung seiner sportlichen Karriere aufkommen lassen. Nun ist er, der „Drei-Punkt-Scharfschütze“, wieder zurück im Leistungssport – überglücklich und mit viel Energie, sagt er.

Doch die Freude währt kurz. Die Viertliga-Saison 2019/20 hat noch nicht begonnen, da bestreiten die Stader Basketballer Vorbereitungsspiele in Hamburg. „Im ersten Spiel hatte ich noch keine Probleme“, sagt Iturria. Im zweiten Spiel am selben Tag passierte es: Bei einer Sprungbewegung riss sich Iturria erneut das Kreuzband, wieder im rechten Knie. „Ich habe mich gefragt, ob es schlau war, kurz nach meiner ersten Verletzung gleich zwei Spiele an einem Tag zu bestreiten.“ Hätte er länger warten sollen?

„Itu“ und seine Mannschaftskameraden nehmen das traditionelle Siegerbad in der Menge.
„Itu“ und seine Mannschaftskameraden nehmen das traditionelle Siegerbad in der Menge.

„Ich war nicht traurig, ich war enttäuscht“

Wieder wird Iturria operiert. Wieder muss er in die Reha. Wieder Monate ohne Basketball durchleben. „Ich war nicht traurig, ich war enttäuscht“, sagt Iturria. An ein so frühes Karriereende denkt er nicht. Er arbeitet am Comeback und bleibt in Stade. „Wenn ich zurückkomme, dann mit 120 Prozent.“ Iturria liebt den Basketball zu sehr, als dass ihn eine zweite schwere Knieverletzung ausbremsen könnte.

Mit dem Basketballspielen begann Francesc Iturria in seiner Heimat Spanien. Er wurde bei einem renommierten europaweiten Turnier zum besten Point Guard gewählt, er stellte in der US-Hochschulliga seine Treffsicherheit aus der Drei-Punkte-Zone unter Beweis. Nach vier Jahren in den Staaten und einem Biochemie-Studium kehrte er als besserer Basketballer zurück nach Spanien, hätte dort Profi werden können. Doch das Gehalt wäre derart schlecht gewesen, dass Iturria zurückschreckte. „Ich hätte nicht mal genügend Zeit gehabt, nebenbei zu arbeiten oder zu studieren.“


Mentale Unterstützung

Dass Iturria schließlich in Stade landete, lag an der Vermittlungsarbeit seines Trainers Joan Rallo Fernández. Fernández war Nachwuchstrainer in Badalona, einem der bekanntesten Vereine Spaniens und musste mit ansehen, wie ein Talent namens Francesc Iturria, das zunächst beim Stadtrivalen spielte, „uns jedes Mal in der U 14-Liga zerstört hat“. Badalonas Sportdirektor holte Iturria, und der spielte fortan unter Fernández.

„Itu ist ein charismatischer Spieler“, sagt Fernández heute. Iturria könne motivieren, seine Mitspieler mitreißen und das Spiel sehr schnell lesen, während er selber spielt. „Die Mannschaft braucht ihn zurück“, sagt Fernández, der ihn im Sommer 2018 nach Stade holte.

Seitdem hat Iturria jedoch nicht viel gespielt. Im Januar 2019 verletzte er sich zum ersten Mal, im August zum zweiten Mal. „Meine Familie und meine Freunde haben mich mental sehr gut unterstützt“, sagt Iturria. Er nutzte die Zeit: lernte Deutsch, begann eine dreijährige Ausbildung, traf sich viel mit Freunden. „Das hat mir geholfen, noch schneller fit zu werden“, sagt Iturria, der das Gespräch mit dem TAGEBLATT auf Deutsch geführt hat, teilweise die Umgangssprache beherrscht und nur selten auf Englisch ausweicht.

Januar 2019: Iturria wird von seinen verletzten Mitspielern Reco McCarter (links) und Oscar Andres gestützt.
Januar 2019: Iturria wird von seinen verletzten Mitspielern Reco McCarter (links) und Oscar Andres gestützt.

Ausbildung zum Immobilienkaufmann

Aber es waren nicht nur die Familie und die Freunde, auch der Verein unterstützte Iturria und hielt an ihm fest. „Der VfL hat auf mich aufgepasst“, sagt Iturria. Zwar weiß er durch seine Zeit in den USA, wie es ist, fernab der Heimat zu leben, doch es sei ein schönes Gefühl, diese Unterstützung zu erfahren. Und auch die Mitspieler halfen ihm in dieser Zeit, mit drei von ihnen wohnt er in einer WG in Stade.

Iturria lässt sich bei einem Stader Unternehmen, ein Sponsor der Mannschaft, zum Immobilienkaufmann ausbilden. Ihn interessiere diese Arbeit, sagt er, schon seine Eltern seien in der Branche tätig gewesen. Nun kümmert Iturria sich meistens um die Buchhaltung, manchmal setzt er Mietverträge auf. Sprachlich, sagt er, sei der Job anspruchsvoll, „ich muss immer noch viel übersetzen“. Ein gutes Deutsch-Level ist sein Ziel.

„Itu ist ein charismatischer Spieler. Die Mannschaft braucht ihn zurück.“ Joan Rallo Fernández, Head Coach 1. Herren
„Itu ist ein charismatischer Spieler. Die Mannschaft braucht ihn zurück.“ Joan Rallo Fernández, Head Coach 1. Herren

Basketballer dürfen nicht trainieren

Überhaupt ist die Arbeit ein wichtiges Thema für Iturria. „In Spanien ist die Lage nicht die Beste“, sagt er. Viele junge Menschen dort sind arbeitslos. Das ist die ökonomische Seite, die andere betrifft die Lebensqualität. In Spanien, sagt Iturria, könne man hervorragend leben. Das Wetter, die Einstellung der Menschen, das Essen. Einmal im halben Jahr versucht er, seine Familie zu besuchen, freut sich dann auch auf das Essen, vor allem auf die Fideos seiner Mutter, eine Art Nudel-Paella – seine Leibspeise.

Im Moment ist kein Basketball möglich. Die Regionalliga-Saison ist unterbrochen aufgrund der Corona-Lage, die Mannschaft darf nicht trainieren. Iturria bereitet sich auf seine Rückkehr vor, absolviert Kraft- und Wurfübungen, Cardio- und Laufeinheiten mit seinen WG-Mitbewohnern. „Ich kann arbeiten, laufen, springen, brauche aber noch mehr Kraft in den Beinen“, sagt er.

Iturria geht davon aus, in einigen Wochen bis wenigen Monaten zurückzukehren. Zuvor benötigt er noch das ärztliche Okay. Und dann stellt sich die Frage, wie die Corona-Lage sich auf die Saison auswirkt. Wird Francesc Iturria womöglich noch länger warten müssen? Er weiß es nicht. Aber wenn es soweit ist, will er 120 Prozent geben.

17. Dezember 2020
Quelle: Stader Tageblatt
Autor: Tim Scholz
Fotos: Manfred Borchers